Einführung
§ 64 des Strafgesetzbuches (StGB) regelt die Möglichkeit, einen Straftäter unter bestimmten Voraussetzungen für einen gewissen Zeitraum in einer Entziehungsanstalt anstatt in einer Haftanstalt unterzubringen.
Der aktuelle Wortlaut der Vorschrift (nach erfolgter Novellierung, seit 1. Oktober 2023) lautet:
„Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die überwiegend auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird; der Hang erfordert eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert. Die Anordnung ergeht nur, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.“
Welche Änderungen die Vorschrift im Rahmen der Novellierung erfahren hat und was mit diesen Änderungen bezweckt werden soll, wird im nachfolgenden Beitrag dargestellt werden. Zudem wird ein knapper Abriss dazu gegeben, welche Konsequenzen die Novellierung für die Strafverteidigung mit sich bringt und wie damit umzugehen ist.
Hintergrund des Novellierungsbedarfs
1. Ausgangslage
Beschäftigt man sich mit der Novellierung des § 64 StGB, so ist es zunächst einmal wichtig, sich die Ausgangslage zu vergegenwärtigen, die im Jahr 2019 dafür sorgte, dass überhaupt ein Novellierungsbedarf erkannt wurde. Diese Ausgangslage lässt sich in drei wesentliche Aspekte untergliedern:
a) Anzahl der gemäß § 64 StGB untergebrachten Straftäter
Die Anzahl der gemäß § 64 StGB untergebrachten Straftäter war in den vergangenen rund 25 Jahren auf mehr als das dreifache angestiegen. Laut dem Statistischen Bundesamt gab es in den Jahren von 1995 bis 2019 einen Anstieg der entsprechenden Patienten von 1.373 auf 4.300. Auch in den Folgejahren seit 2019 stieg die Anzahl der gemäß § 64 StGB untergebrachten Straftäter weiter an, bis 2020 vermutlich auf knapp 5.300 Personen.
b) Unterbringungsdauer
Neben dem Anstieg der Anzahl der untergebrachten Patienten war zudem auch ein Anstieg der jeweiligen Behandlungsdauer zu verzeichnen. So stieg die Behandlungsdauer im oben genannten Zeitraum um rund sechs Monate, die Höhe der Begleitstrafe stieg im Schnitt sogar um rund 9 Monate an.
c) Struktur der untergebrachten Straftäter
Es wurde ein Wechsel in der Struktur der untergebrachten Straftäter festgestellt. Deutlich mehr Straftäter, die ein Betäubungsmitteldelikt oder eine Körperverletzung begangen hatten, wurden nach § 64 StGB untergebracht.
2. Erkenntnisse aus der Ausgangslage
All diese Erkenntnisse veranlassten die Gesundheitsministerkonferenz dazu, gemeinsam mit den Justizressorts eine Prüfung der Vorschrift anzustoßen. Ziel war es, die Unterbringung nach § 64 StGB wieder vermehrt auf wirklich behandlungsbedürftige Straftäter zu fokussieren und dadurch eine Entlastung der Entziehungsanstalten zu erreichen.
Überlegungen im Rahmen des Novellierungsbedarfs
1. Bund-Länder-Arbeitsgruppe
Zur Prüfung der Vorschrift wurde eine Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern eingerichtet. Ziel war es insbesondere festzustellen, ob und wenn ja durch welche Anpassungen an der Vorschrift des § 64 StGB sowie gegebenenfalls auch damit im Zusammenhang stehender Vorschriften die erwünschte Fokussierung auf behandlungsbedürftige Straftäter erzielt werden könne.
2. Kernpunkte
Im Kern sprach sich die Arbeitsgruppe für Anpassungen an § 64 StGB sowie §§ 67 StGB und 463 der Strafprozessordnung (StPO) aus. Ziel war es, durch Anpassung der Voraussetzungen weniger Unterbringungen nach § 64 StGB zu erreichen und den Anreiz der Halbstrafenverkürzung zu eliminieren.
3. Übersicht der vorgeschlagenen Anpassungen
a) Anpassungen an § 64 StGB
Alte Fassung: „...Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen...“
Neue Fassung: „...der Hang erfordert eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert.“
b) Anpassungen an § 67 StGB
Absatz 2 Satz 3 wurde in der neuen Fassung so angepasst, dass die Aussetzung zur Bewährung nun in der Regel erst nach zwei Dritteln der Strafe und nur ausnahmsweise nach der Hälfte möglich ist.
c) Anpassungen an § 463 StPO
Absatz 6 Satz 3 der alten Fassung wurde dahingehend geändert, dass Maßnahmen sofort vollziehbar sind, wenn erhebliche rechtswidrige Taten drohen, wobei für bestimmte Entscheidungen die bisherige Regelung bleibt.
Hintergrund der Anpassungen
1. Verschärfung der Voraussetzungen
Bei den Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 64 StGB wurde einerseits der Begriff „Hang“ präzisiert und andererseits die Anforderungen an die Heilungsaussichten erhöht.
2. Anpassung der Regelung zur vorzeitigen Entlassung
Die Anforderungen für eine vorzeitige Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt wurden an den klassischen Strafvollzug angepasst, wodurch der Anreiz einer schnelleren Entlassung entfällt.
Gesetzesbeschluss
Mit dem „Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts“ (Bundesgesetzblatt 2023 I Nr. 203 vom 02.08.2023) wurden die vorgeschlagenen Anpassungen umgesetzt.
Konsequenzen für die Strafverteidigung
Die Änderungen haben erhebliche Auswirkungen auf die Verteidigungspraxis. Die Attraktivität einer Unterbringung nach § 64 StGB ist durch die Anpassung der Entlassungsregelungen und Voraussetzungen gesunken. Es ist gründlich zu prüfen, ob eine solche Unterbringung für den Mandanten sinnvoll ist.
Was wir für Sie tun können
Als erfahrene Strafverteidiger stehen wir Ihnen auch bei einer Suchterkrankung jederzeit vorurteilsfrei und kompetent zur Seite. Gemeinsam entwickeln wir die beste Verteidigungsstrategie und prüfen die Rolle der Suchterkrankung im Verfahren. Kontaktieren Sie uns, wenn Ihnen eine Straftat zur Last gelegt wird oder Sie einen erfahrenen Strafverteidiger benötigen.