Zeugenaussagen und ihre Glaubwürdigkeit
Nachfolgend soll ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1999, konkret vom 30.07.1999, näher dargestellt und erläutert werden. Hintergrund ist, dass es sich maßgeblich mit der Frage befasst, inwieweit Zeugenaussagen als glaubwürdig einzustufen sind. Als langjährige und erfahrene Strafverteidiger in Nordrhein-Westfalen sowie bundesweit spielt diese Frage für uns in unserer täglichen Arbeit eine maßgebliche Rolle.
BGHSt 45, 164 – Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.07.1999: BGH 1 StR 618/98 - Urteil v. 30. Juli 1999 (LG Ansbach) sowie die seitdem eingetretenen Entwicklungen
In dem betreffenden Urteil des Bundesgerichtshofs ging es darum, dass ein Angeklagter sich gegen das gegen ihn ergangene Urteil des Landgerichts Ansbach aus dem Jahr 1998 wendete. Darin wurde der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt 6,5 Jahren verurteilt, nachdem er aufgrund des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in neun Fällen schuldig gesprochen wurde.
Grundlage des Urteils
Grundlage für das Urteil war insbesondere ein Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Aussage einer Belastungszeugin (die zu dieser Zeit 14 Jahre alt war), die zu dem (angeblichen) Missbrauchsgeschehen ausgesagt hatte.
Die Verfasserin des Gutachtens, eine diplomierte Psychologin, war zu dem Schluss gekommen, dass die betreffende Zeugenaussage glaubhaft sei. Ein tatsächliches Erlebnis sei Hintergrund der Aussage. Das Gericht sah es nicht als erforderlich an, ein weiteres Gutachten über die Glaubwürdigkeit der Aussage der Zeugin einzuholen und lehnte daher einen dementsprechenden Antrag der Verteidigung ab.
Ablehnung des Antrags auf Einholung eines weiteren Gutachtens fehlerhaft
Doch genau diese Ablehnung des Antrags auf Einholung eines weiteren Glaubwürdigkeitsgutachtens war es, die den Bundesgerichtshof dazu brachte, das Urteil des Landgerichts Ansbach als rechtsfehlerhaft einzuschätzen. Die Ablehnung des Antrags sei nicht ausreichend begründet. Es wäre erforderlich gewesen, dass die Ablehnung für die Beteiligten des Verfahrens (sowie letztlich auch für das Revisionsgericht selber) nachprüfbar gewesen sei. Die Verteidigung hatte ganz konkrete Einwände gegen das erste Gutachten der diplomierten Psychologin erhoben, ohne dass das Landgericht Ansbach sich damit in seiner Ablehnung näher befasst hatte.
Erfolg der Revision
Aus diesem Grund hob der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts Ansbach auf und verwies die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts Ansbach zurück. Die Verteidigung war also mit ihrer Revision erfolgreich.
Interessant ist dabei insbesondere auch, dass sich der Bundesgerichtshof im Rahmen seiner Entscheidung recht detailliert dazu äußerte, welche Mindestanforderungen an aussagepsychologische Gutachten zu stellen sind. Der Fokus lag dabei auf Gutachten insbesondere bei Zeugen im Kindesalter, die gegebenenfalls durch Dritte beeinflusst sein könnten. Der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass vor allem bei derartigen Zeugen das Risiko besteht, dass sie ihre Zeugenaussage abweichend von der tatsächlichen Erinnerung modifizieren, um einerseits die mutmaßlichen Erwartungen des Vernehmenden zu erfüllen und andererseits an die mutmaßliche Kompetenz der vernehmenden Person heranzureichen.
Ansprüche an das Urteil
Der BGH stellte fest, dass es erforderlich gewesen wäre, dass das Urteil beziehungsweise die Urteilsgründe die „wesentlichen Anknüpfungstatsachen und methodischen Darlegungen in einer Weise enthalten, die zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit und sonstigen Rechtsfehlerfreiheit erforderlich sind“.
Dieser sehr theoretisch klingende Satz aus den Leitsätzen des BGH-Urteils bedeutet letztlich vor allem, dass es nicht ausreicht, die Glaubwürdigkeit eines Gutachtens auf die dem Gericht bekannte Sachkompetenz des Gutachters/des Sachverständigen sowie die eigene richterliche Überzeugung zu stützen. Dies gilt umso mehr, wenn von den Beteiligten des Verfahrens eine detaillierte Kritik an dem Gutachten/der Sachverständigenaussage vorgebracht wird.
In dem hier vorgestellten Fall, war das Gutachten der diplomierten Psychologin von der Seite der Verteidigung sehr konkret und unter Zuhilfenahme einer schriftlichen Stellungnahme des Leiters der Arbeitsstelle für Forensische Psychologie der Universität Dortmund angegriffen worden. Dabei waren auch ganz konkrete Mängel des Gutachtens kritisiert worden, denen das Landgericht Ansbach jedoch keine weitere Beachtung schenkte.
Aussagepsychologische Gutachten befassen sich mit der Glaubhaftigkeit einer Aussage
Wird ein aussagepsychologisches Gutachten eingeholt, so geht es dabei regelmäßig um die Frage, ob und inwieweit die zu begutachtende Aussage glaubhaft ist. Nicht zu verwechseln ist dieser Prüfauftrag mit der Frage nach der Glaubwürdigkeit des Zeugen! Es gilt also herauszufinden, ob das von dem Zeugen dargestellte Geschehen wahr ist – auf einem tatsächlichen Geschehen beruht. Dies ist etwas anderes, als die grundsätzliche Glaubwürdigkeit des Aussagenden zu beurteilen.
Hypothesen als Arbeitsgrundlage
Das aussagepsychologische Gutachten bedient sich dabei regelmäßig verschiedener Hypothesen, die im Verlauf der gutachterlichen Untersuchung entweder bestätigt oder widerlegt werden. Beispielhaft genannt seien in diesem Kontext die sogenannte „Nullhypothese“ (die Aussage ist unwahr), die „Alternativhypothese“ (die Aussage ist wahr), die „Hypothese des konstruktiven Schließens von Erinnerungslücken“ sowie die „Suggestionshypothese“.
Die letztgenannte spielt vor allem bei der Begutachtung von Aussagen von Kindern eine bedeutende Rolle. Insbesondere in diesen Fällen kommt es nämlich regelmäßig vor, dass Aussagen (unbewusst) abgewandelt werden, um den (vermeintlichen) Erwartungen der Erwachsenen zu entsprechen.
Überprüfung von Gutachten, Aussagen und Urteilen
Unabhängig davon, ob es um die Überprüfung eines Gutachtens, einer Aussage oder eines Gutachtens im Allgemeinen geht, unterstützen und beraten wir Sie dank unserer jahrelangen Erfahrung und unserer bestehenden Fachkompetenz jederzeit vertrauensvoll und engagiert.
Das dargestellte BGH-Urteil zeigt, dass auch Gerichte sich nicht immer an die tatsächlich bestehenden Anforderungen halten und dass es regelmäßig angezeigt ist, Urteile sowie die entsprechenden Grundlagen für das Urteil detailliert zu überprüfen.
Kontaktieren Sie uns gerne hierzu sowie natürlich auch zu allen anderen Fragen und Anliegen rund um das Strafrecht!