EncroChat im Kontext deutscher Strafverfahren

4 Minuten Lesezeit 23.08.2023
EncroChat im Kontext deutscher Strafverfahren

Worum handelt es sich bei EncroChat?

Bei EncroChat handelt es sich um einen Anbieter von Dienstleistungen rund um das Thema der Telekommunikation. Konkret bot das Unternehmen, das 2016 gegründet und im Sommer 2020 wieder aufgelöst wurde, Handys und einen Messengerdienst mit spezieller Verschlüsselung an. Diese sollten einer möglichst sicheren Kommunikation dienen. Die entsprechenden Nutzer gingen davon aus, dass sie vollkommen sicher vor jedem Zugriff seien. Es ist inzwischen anzunehmen, dass die Handys und Messengerdienste weit überwiegend für kriminelle Aktivitäten genutzt wurden.

Welche Rolle spielten französische Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit EncroChat?

Französische Ermittlungsbehörden schafften es, anhand einer speziellen Überwachungssoftware Einblick in die über EncroChat geführte Kommunikation zu nehmen und Nachrichten von mehreren zehntausend Nutzern aus rund 120 verschiedenen Ländern zu verfolgen. Hierzu zählten unter anderem auch Nutzer aus Deutschland. Die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse teilten die französischen Ermittlungsbehörden den deutschen Ermittlungsbehörden mit. Es handelte sich hierbei wohl um eine Vielzahl an Informationen, wie etwa IMEI-Nummern, Datum und Uhrzeit bestimmter Kommunikation, Chatnachrichten und so weiter.

Die Einzelheiten bezüglich der in Frankreich durchgeführten Überwachungsmaßnahmen sind hingegen unbekannt.

Wie gingen die deutschen Ermittlungsbehörden mit den Erkenntnissen aus Frankreich um?

Nachdem die deutschen Ermittlungsbehörden aus Frankreich derart umfangreiche Informationen erhalten hatten, nutzten sie diese und ermittelten in unterschiedliche Richtungen weiter. Es wurden insbesondere auch diverse Durchsuchungen durchgeführt. Zudem kam es ab etwa Herbst 2020 dazu, dass die EncroChat-Daten im Rahmen von Strafverfahren vor Gericht verwendet wurden. Unter anderem das Amtsgericht sowie auch das Land- und das Oberlandesgericht in Bremen hatten dabei keine Zweifel daran, die entsprechenden Daten und Informationen (zum Beispiel als Beweismittel) verwenden zu dürfen. Gleiches gilt etwa für die Oberlandesgerichte in Hamburg, Schleswig und auch Rostock.

Gibt es auch Stimmen, die die Verwertbarkeit der EncroChat-Daten im Rahmen deutscher Strafverfahren anzweifeln?

Ja! Die Verwertbarkeit der aus Frankreich gelieferten EncroChat-Daten im Rahmen deutscher Strafverfahren ist alles andere als unumstritten. Insbesondere verschiedene Strafverteidiger/-innen äußern erhebliche Bedenken, dass die Verwertung der Daten gegen das deutsche Recht verstoße. Ihre Argumentation geht dahin, dass die fraglichen Daten in Deutschland gar nicht erst hätten erhoben werden dürfen. Würde man sie nun – da die Erhebung eben in Frankreich und nicht in Deutschland erfolgte – verwerten, könnte dies dazu führen, dass sich die Länder auf diesem Weg regelmäßig Daten übermitteln könnten, deren Erhebung in dieser Form im eigenen Land nicht zulässig sei. Tatsächlich wurde inzwischen sogar Verfassungsbeschwerde hierzu eingelegt.

Was hat das Landgericht in Berlin hierzu entschieden?

Im Juli 2021 hat nun auch das Landgericht in Berlin einen Schwenk in diese Richtung gemacht und entschieden, dass es sich bei der Erhebung der EncroChat-Daten um einen nicht gerechtfertigten Eingriff in Artikel 10 des Grundgesetzes (Telekommunikationsgrundrecht) und in Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes (IT-Grundrecht) handele. Der Umstand, dass die französischen Ermittlungsbehörden ihre Erkenntnisse den deutschen Ermittlungsbehörden zukommen ließen, stelle einen zusätzlichen Eingriff dar.

Die Berliner Richter am Landgericht sprachen sich demnach gegen eine Verwertung der EncroChat-Daten aus und stützten sich dabei unter anderem auch darauf, dass es nach der Richtlinie für die Europäische Ermittlungsanordnung erforderlich gewesen wäre, Deutschland darüber zu unterrichten, wenn Frankreich eine Überwachung von Telekommunikation auf deutschem Hoheitsgebiet beabsichtigt hätte. Andere Gerichte hatten die Anwendbarkeit der Richtlinie zuvor explizit abgelehnt oder zumindest angenommen, dass ein etwaiger Verstoß gegen die Richtlinie durch die Verwendung der Daten geheilt worden sei.

Die Staatsanwaltschaft in Berlin wollte diese Entscheidung nicht akzeptieren und wendete sich daher an das in diesen Fällen zuständige Kammergericht in Berlin. Dieses entschied nur knapp zwei Monate später, dass eine Verwendung der Daten erfolgen darf. Das Kammergericht folgte damit den bislang ergangenen Urteilen anderer Gerichte und stellte sich gegen die Entscheidung des Berliner Landgerichts.

Hätte die Überwachung der Handys nach deutschem Recht stattfinden dürfen?

Diese Frage ist nicht unumstritten. Die Anforderungen an eine Telekommunikationsüberwachung nach deutschem Recht sind hoch und sehen unter anderem vor, dass der Verdacht einer in einem Katalog genannten Straftat von besonderer Schwere vorliegen muss. Soweit bekannt, gingen die französischen Ermittlungsbehörden bei Beginn der Überwachung jedoch lediglich davon aus, dass die EncroChat-Dienste grundsätzlich für strafbare Zwecke genutzt werden. Ein konkreter Verdacht gegen die jeweiligen Nutzer der abgehörten Handys hingegen lag nicht vor. Dies würde nach deutschem Recht einen Rechtsverstoß darstellen und eben möglicherweise auch das im Raum stehende Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen. So zumindest hat es das Landgericht Berlin gesehen.

Wie geht es nun weiter mit den EncroChat-Daten und was bedeutet dies für künftige vergleichbare Sachverhalte?

Zunächst einmal wird abzuwarten sein, wie weitere Gerichte sich zu der Thematik positionieren. Man wird sehen, ob sich weitere Gerichte der Auffassung des Landgerichts Berlin anschließen und eine Verwendung der Daten ablehnen, oder ob doch die Entscheidung des Kammergerichts Berlin beziehungsweise die Entscheidungen der zuvor gefallenen Urteile etwa der Gerichte in Bremen Vorbildwirkung zeigen und sich die Verwendung der Daten in der Gerichtslandschaft durchsetzt. Zudem ist davon auszugehen, dass in jedem Fall auch ein Bundesgericht mit der Thematik befasst werden wird. Hier bleibt ebenfalls abzuwarten, wie die entsprechenden Richter die Rechtslage einschätzen und beurteilen.

Je nach Ausgang der EncroChat-Thematik wird dies möglicherweise auch maßgebliche Auswirkungen auf künftige vergleichbare Sachverhalte haben. Wird es in der Zukunft möglich sein, über den Umweg eines anderen Landes auf Daten zurückzugreifen, die in Deutschland nur unter Einhaltung hoher Anforderungen erlangt werden dürften? So oder so bleibt es spannend und wird EncroChat die deutschen Gerichte sicherlich noch eine ganze Weile beschäftigen.

Aktuelles & Ratgeber
Weitere Ratgeber
Vertrauliche Beratung. Starker Schutz.

Wir wissen, dass es um mehr geht als nur Recht - es geht um Ihr Leben und Ihre Zukunft. Kontaktieren Sie uns jetzt, um eine vertrauliche Beratung zu erhalten.

Strafverteidiger und Rechtsanwalt Karl Matthias Göbel CTA Karl Matthias Göbel - Strafverteidiger

👋 Haben Sie ein Rechtsproblem? In nur wenigen Schritten zum Termin 🕑